Wer den Anfang der Geschichte noch nicht kennt, sollte zunächst an dieser Stelle lesen und dann hier weiter:
Die zweite Mail aus der Zukunft
24. April 2062:
Gestern Abend, im Heringsgrund, bekamen wir noch die Bestätigung unserer Vermutungen auf der großen Fluchtwandtafel*.
(*FUTUROOGLE: Die Fluchtwandtafel = 200 m² große Leuchttafel, eine von 12 Info-Tafeln der NNPV an exponierten Stellen im Gebirge, die erste Tafel wurde 2020 über der Idagrotte am Frienstein, als Reaktion auf immer wieder von Aktivisten entfernte Infotäfelchen montiert, die Friensteintafel ist mit 800 m² die größte Tafel und soll von der Ortslage Saupsdorf aus noch zu lesen sein)
Die Leuchtschrift verkündete, dass NNPV-Chef van Batterstone es als großen Erfolg sieht, dass „… jetzt das Weltkulturerbe der sächsischen Sandsteinfelsen vor den kommenden Brandungswellen geschützt wäre, zumindest solange, bis das große Ziel erreicht sei – den Nationalpark in seinen natürlichen Ausgangszustand zurückzuentwickeln – einen möglichst naturbelassenen Meeresboden. “Bis es soweit wäre“, so van Batterstone, „werden aber noch mehrere Regentschaften in der NNPV vergehen und er sähe jetzt seine Hauptaufgabe in der Herstellung der Durchgängigkeit des Kirnitzschtales und die Passierbarkeit der Elbefurten für die 2x jährlichen Züge der Büffel zwischen den Winterweideplätzen in Südspanien und den Sommerweiden in Sibirien“.
Die Rückkehr der ersten Büffel über die Nordroute wurde bereits für nächstes Jahr angekündigt. Nachdem sich die Realisierbarkeit der Südroute über Mähren-Böhmerwald-Frankenwald aufgrund massiver Widerstände der böhmischen Tramps als zeitlich unattraktiv darstellt, will man nun die Rückkehr der Büffel über die Nordroute forcieren. Die EU-Umweltminister, ebenso wie die NENABU-Führung, befürchten den Verlust von Fördergeldern und drängen auf eine schnelle Umsetzung.
Und der NENABU* (*FUTUROOGLE: NENABU = Neuer Naturschutz Bund, Nachfolgeorganisation des NABU) muss ja seinen Anhängern auch mal wieder ein vermeintliches Erfolgserlebnis verschaffen und da kommt der Büffel gerade recht. Ob sie damit aber von ihrem kapitalen Eigentor ablenken können? Wir erinnern uns noch zu gut an den Kormoranskandal* (*FUTUROOGLE: Kormoranskandal = der vom Vorläuferverein NABU als „Vogel des Jahres 2010“ unter Megaschutz gestellte Kormoran hatte sich mit den fetten Lachsforellen und Eschen der Fischer und Angler gut genährt, an allen deutschen Flüssen etablierte und durch Aufnahme hormonhaltiger Abwässer zum bekannten Riesenkormoran (Phalacrocorax elbiensis giganteum) entwickelt. Bis 2022 hatte diese neue Art dann nicht nur die kompletten Fischbestände, sondern infolge des Nahrungsmangels, fast auch alle Wildsäugetiere großflächig ausgerottet.)
Aber egal, wir haben es erstmal bis in unser Basislager geschafft. Wir sind übrigens eine kleine GeMo-Gruppe* und wir treffen uns jedes Jahr für ein paar Tage, um traditionelle Wege und Stiegen im Elbi zu erhalten oder wieder herzustellen.
(*FUTUROOGLE: GeMo`s = gemäßigte Mothisten, eine nicht anerkannte Glaubensgemeinschaft, welche auf Basis der heiligen „Stiegenbücher“ versucht, alle überlieferten und nachweisbaren Wege und Steiganlagen im Sächsischen Elbsandsteingebirge begehbar zu erhalten oder wiederherzustellen. Den GeMo´s genügt zur Rechtfertigung ihrer Vorgehensweise ein erkennbares Balkenlager oder eine Schlegelspur am Fels. Im Gegensatz dazu stehen die MiMo´s = Militante Mothisten. Diese Splittergruppe der Mothistenbewegung beruft sich auf eine unbedachte Äußerung des Stiegenpapstes aus dem Jahr 2011, aus der sie für sich ableiteten, dass überall dort, wo jemand langlaufen oder hochsteigen möchte, auch ein Weg zu schaffen sei. Diese Ansicht führte natürlich in eine anarchische Entwicklung und hatte das Entstehen von zahllosen neuen Stiegen und Steigen und eine ernste Bedrohung der strukturellen Stabilität der Felsen zur Folge, glücklicherweise blieb diese Splittergruppe zahlenmäßig klein und war in den letzten Jahren kaum noch aktiv.
Man erkennt einen MiMo an der Tarnkleidung, und der stets mitgeführten Akkuschlagbohrmaschine, dem Beutel mit Schnellzement und einem Bündel vorgefertigter Rundeisen mit 12 mm Durchmesser. Die 12 mm sind zwar uneffektiv und unterdimensioniert, galten aber seit ihrem Einsatz an der ersten illegal errichteten Steiganlage im legendären Jahr 2010 als traditionell. Beim rituellen Eisensetzen darf ein bekennender MiMo keine anderen Eisen verwenden.)
Gestern Abend sind wir noch gut durchgekommen. Der gesamte Bereich zwischen der ehemaligen Zwieselhütte und dem Beginn der ehemaligen Heiligen Stiege war ebenfalls bereits mit den Wellenbrechern ausgelegt. Aber es ging doch noch ganz gut und jetzt geht gerade die Sonne hinter dem Kleinen Winterberg unter. Unsere vor 2 Jahren gebaute Zisterne ist noch in Ordnung, wir haben also Wasser und können unsere gefriergetrockneten Überlebensrationen wieder aufweichen, brrrr… (zumindest bis die Büffel wieder Frischfleisch vorbeibringen:-). Jetzt richten wir erstmal unser Lager ein, dass von den Rangern immer noch nicht entdeckt wurde.Es ist wie ein Wunder, Toi, toi, toi!
Aber es ist ja auch schwer genug zu erreichen, reichlich 14 Stunden haben wir diesmal gebraucht. Nachdem 2052 die Eisenbahnstrecke an der Elbe vom Jahrtausendhochwasser weggerissen wurde und auch nicht wieder gebaut werden soll, haben wir uns an den langen Fußweg schon gewöhnt, aber die letzten paar Kilometer werden immer schwieriger. Klar – wir könnten mit dem Auto bis an die Nationalparkgrenze bei Berggießhübel fahren, aber wenn du kein „Anwohnersonderaufenthaltserlaubnisausnahmekennzeichen“ hast, wird das Auto möglicherweise von einem der stündlich patrouillierenden Ranger auf seinem solarbetriebenen gepanzerten Fahrrad entdeckt. Mit der neuen Infrarottechnik sogar, wenn du es gut im Gebüsch versteckt hast. Und selbst außerhalb der „3-Meilen-vor-der-Kernzone-Schutzzone“, fackeln die nicht lange. Im Gegenteil, da wird kurz der Flammenwerfer zugeschaltet und die offizielle Stellungnahme lautet dann wie immer
„…Bei einer routinemäßigen Neophytenbekämpfung* im Nationalparkumfeld wurde ein illegal im Unterholz verstecktes Kraftfahrzeug in Mitleidenschaft gezogen. Aufgrund eindeutiger Hinweise wird das Fahrzeug Aktivisten der illegalen Mothistenbewegung zugerechnet. Am Fahrzeug entstand Totalschaden.“
(FUTUROOGLE = Neophyten sind nichteinheimische Pflanzen, hier vornehmlich Riesenbärenklau und Japanischer Staudenknöterich, welche die einheimische, dominierende Stammpflanze des Elbsandsteingebirges bedrohen – den Stengelumfassenden Knotenfuß. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Stengelumknotenden Faselfuß, ein rauchender und vielredender Wanderfreund, den man in der Vorzeit auch im Wald antreffen konnte.)
Besser ist es jedenfalls, überhaupt keine Spuren und Hinweise zu hinterlassen, wenn man mal wieder (illegal natürlich – denn legal ist ja gar nicht mehr) im Elbi unterwegs sein will, aber es wird eben immer schwieriger. Sämtliche vormals vorhandenen Wege unter zwei Meter Breite, wie auch alle Steige, Stufen, Leitern und Geländer, waren sowieso schon seit längerer Zeit nicht mehr erneuert worden und bis zur Unkenntlichkeit verfallen. Aber seit Eröffnung des Schramm-Rapid war es dann echt schlimm geworden.
Wir waren heute Nachmittag nochmal kurz unten an der Kirnitzsch, um ein paar frische Kräuter fürs Abendessen zu sammeln. Da haben wir uns überlegt, wie es wohl wäre, wenn mal die Büffel hier durchziehen. Fette Weiden sind ja da und Bewohner gibt’s auch nicht mehr, denn die Einrichtung der Nordroute für den Büffelzug wurde ja auch sehr begünstigt (was natürlich niemand offiziell zugeben würde) durch die katastrophalen Folgen des Jahrtausendhochwassers von 2052. Das hatte beim Durchbruch der Elbe am Großen Zschand nicht nur das Prebischtor* weggerissen, sondern auch im Kirnitzschtal, für Auswärtige ohnehin seit Jahren komplett gesperrt, jegliche Besiedlungsspuren entfernt.
(*FUTUROOGLE: Prebischtor = bis 2052 die größte natürliche Sandsteinbrücke Europas, wurde vom Jahrtausendhochwasser weggerissen, Ursache soll ein kleines Eisengitter hinter dem Toilettenzugang gewesen sein, an dem sich mehr und mehr Treibgut verfing.)
Glücklicherweise gab es dabei keine Todesopfer, da es vorhersehbar war, dass die angestauten Wassermassen sich über das Tal einen Weg suchen würden. Aber wie groß war damals Angst, dass der in der Elbkurve oberhalb von Hrensko entstandene, Damm* aus Treibholz brechen und die Residenz bis nach Riesa wegspülen könnte. Auch der NENABU äußerte große Sorge um die zahlreichen Kormorankolonien an der Elbe. Idioten!
(*FUTUROOGLE: Der Große Damm = über 300m hoch und das gesamte Tal versperrend, war beim Elbe-Hochwasser 2052 aus Treibgut entstanden, welches von den seit vielen Jahren nicht mehr beräumten Flussufern mitgerissen wurde, insbesondere aus den vom böhmischen Urwald überwucherten Bereichen. Die enorme Höhe und Spannweite des Dammes über das gesamte Tal konnte sich dadurch herausbilden, weil die zur Renaturierung des Böhmischen Urwaldes eingesetzten, genetisch optimierten Urweltmammutbäume (Sequoia Monsantoum profitabilis) bereits eine Größe von über 100m erreicht hatten.)
Aber jetzt erst mal zum Abendessen, ein feines Tütensüppchen mit frischen Kräutern.
Fortsetzung folgt…
(Copyright: Andreas P., edit und Bilder by Zwillingsstiege)
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Wir brauchen hier keine Fundamentalisten, sondern Leute, die verantwortungsvoll mit dem Gebirge umgehen und auch andere dazu kraft ihrer Autorität dazu anhalten!
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Ich bin dann wohl in der Splittergruppe vertreten. Nicht schlecht die Geschichten, doch nach meiner Auffassung gehören die nicht hierher. Man könnte ein kleines Büchlein daraus machen. Auf dieser HP-Seite geht es aber um ganz aktuelle und viel wichtigere Themen. Jetzt und heute muss gehandelt werden, ansonsten ist es zu spät.
Ich bin ein GeMo! Klasse, warte gespannt auf Neues aus der Zukunft!
Es sind Künstler unter uns! Danke!!!